Vor sechs Jahren wurden im Zuge der
Erschließung des Rathenower Gewerbegebietes Heidefeld Reste eines KZ -
Außenlager gefunden. Das öffentliche Interesse führte zu einer weitgehenden
Erforschung des etwa ein Jahr bestehenden Lagers mit dem Außenkommando des
Konzentrationslagers Sachsenhausen. Grabungen und Sicherungen fanden statt.
Die PDS initiierte eine Erinnerungstafel, die im Jahr 2000 feierlich
aufgestellt wurde.
Mit dem Bundestagsbeschluss zur
Schaffung eines finanziellen Fonds, aus dem die nach Deutschland zur
Zwangsarbeit deportierten "Fremdarbeiter" entschädigt werden
sollten, wurde die Vielzahl an Zwangsarbeiterlagern in Rathenow während des
zweiten Weltkriegs bekannt. Horst Schwenzer,
damals Beauftragter der Rathenower Stadtverwaltung, kommt das Verdienst zu,
Schicksale der Verschleppten öffentlich bekannt gemacht zu haben.
Im Herbst 2004 lenkt eine Publikation
der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung in
Zusammenarbeit mit der Berliner Landeszentrale für politische
Bildungsarbeit die Aufmerksamkeit auf ein fast oder gänzlich vergessenes
Objekt: Das von der Gestapo geführte "Arbeitserziehungslager"
(AEL) in Rhinow.
Die Bastfaser GmbH
Das Straflager wurde in der zweiten
(von drei) Expansionswellen der AEL - Einrichtungen im Frühjahr 1942 eröffnet
- parallel zum so genannten "Russeneinsatz" nach dem Ostarbeiter
- Erlass vom 18.Juli 1942. Es war ein Frauenlager, und es war der Vorläufer
des AEL Fehrbellin, in das die Frauen 1942 verlegt wurden.
In Rhinow hatte die Bastfaser GmbH
Wuppertal 1937 ein Hanfwerk gegründet. Es gewann im Zeichen der NS -
Autarkiepolitik Bedeutung.
Nun sollten statt der importierten
Rohstoffe heimische Bastfasern zu Zelt - und Lkw - Planen, Fallschirmgurten
und anderen strapazierfähigen Grobtextilien verarbeitet werden.
In Rhinow und Fehrbellin (beide im
damaligen Kreis Westhavelland gelegen) wurden die Bastfasern in der
Verarbeitungsstufe gewonnen und aufbereitet. Kotonierter
Hanf deckte schließlich 20 Prozent des Bedarfs als Baumwollersatz.
Außer polnischen Kriegsgefangenen
wurden auch niederländische und Sowjetische Zwangsarbeiter eingesetzt, wie
aus den Lohnlisten hervorgeht.
Das AEL Rhinow hatte eine Kapazität von
350 weiblichen Häftlingen. Nach deren Verlegung zum Bastfaserwerk
Fehrbellin arbeiteten in Rhinow Frauen des "Zuchthauskommando
Rhinow/Mark bei der Bastfaser GmbH" aus dem Frauenzuchthaus Cottbus
und dem Frauenjugendgefängnis Berlin - Lichtenberg bis zum Kriegsende.
Klage über Hausfrauen
Kommandoführerin war Hauptwachmeisterin
Geithe. Die Kommandoführerin und der
Betriebsleiter der Firma klagten über die als Hilfsarbeiterinnen
eingesetzten Hausfrauen aus der Kleinstadt, "die kein Verständnis für
die Erfordernisse des Strafvollzugs und mit den Gefangenen Mitleid"
hätten (Lagerbericht Geithe, 30.11.1944). Die Frauen
aus dem Strafvollzug waren von Gerichten verurteilt, wie zum Beispiel die
Potsdamer Gärtnereibesitzerin Emma G., die eine bei ihr beschäftigte
"Ostarbeiterin" bei ihrer Flucht unterstützt hatte und nach Haft
in Cottbus im Februar 1945 "zur weiteren Strafverbüßung in das
Zuchthauslager Rhinow überführt" wurde. Wie aber erging es den
Häftlingen des AEL?
Lager als "KZ der Gestapo"
Vom Straflager Rhinow gibt es keine
schriftlichen Unterlagen und keine Erinnerungsberichte ehemaliger Insassen.
Da es nur wenige Monate an diesem Ort existierte, sind die Fehrbelliner
Verhältnisse anzunehmen. AEL wurden als "KZ der Gestapo"
betrachtet. Anders als die KZ waren die AEL nicht für die Verfolgung
politischer Gegner oder die Vernichtung "rassisch Minderwertiger"
gedacht, sondern dienten der Disziplinierung der deutschen, vor allem aber
ausländischer Arbeiter. In ihnen sollten, so der zentrale Erlass Himmlers
(28.5.1941) "Arbeitsverweigerer sowie Arbeitsvertragsparteien und
arbeitsunlustige Elemente" eingesperrt werden. Darunter fielen
Widersetzlichkeiten im Betrieb, Krankfeiern, häufiges Zuspätkommen oder
langsames Arbeiten. Die Betreiber zeigten ihre geflüchteten oder
missliebigen Arbeitskräfte bei der örtlichen Polizei an, die dann die Stapo (Staatspolizei-Leitstelle) einschaltete. Die
Überstellung an die Gestapo (Geheime Staatspolizei) und die Einweisung in
ein AEL bedurfte keines Gerichtsverfahrens, sie erfolgte willkürlich. Die
Haftdauer in diesem "Kurzzeit KZ" war zunächst 21, dann 56 Tage
und schließlich drei Monate bis zur Rückführung. Allerdings wurden die
Zeiten auch überschritten (gemäß dem Wunsch der Bastfaser GmbH), und auch
politische Häftlinge wurden in AEL eingesperrt und nach ihrer AEL - Haft
direkt in ein KZ eingewiesen.
Charlotte Holzer steht dafür als Beispiel.
1909 geboren, trat sie der kommunistischen Betriebszelle im Jüdischen
Krankenhaus Berlin bei. Ihr Mann wurde 1933 verhaftet. 1940 kam Herbert
Baum als Patient in ihr Krankenhaus. Sie kannte ihn bereits aus der Deutsch
- Jüdischen Jugendgemeinschaft. Sie schloss sich der kommunistisch -
jüdischen Widerstandsgruppe an. Im Mai 1942 steckten die Genossen die
antisemitische und antisowjetische NS - Propagandaausstellung "Das
Sowjetparadies" im Berliner Lustgarten in Brand. Charlotte H. wurde im
Oktober verhaftet und der Vorbereitung zum Hochverrat bezichtigt. Während
der Vorbereitung des Verfahrens war sie auch im AEL Fehrbellin. Wegen
Krankheit wurde sie 1943 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Das Urteil
wurde aber nicht vollstreckt. (Man wollte sie wohl als Zeugin in so
genannten "Anhängerprozessen" missbrauchen). 1944 floh sie
während eines Bombenangriffs aus dem Krankenhaus und tauchte unter. Über
das AEL - Fehrbellin berichtete sie: "Der Tag fing morgens um vier an
mit Appellstehen, und es war im Tagesablauf eigentlich alles genau wie im
KZ. Der Unterschied zwischen Arbeitslager und KZ war nur der, dass man hier
durch Arbeit kaputt gehen konnte und im KZ vergast wurde. Es war hier kein
Vernichtungslager. Bewacht wurden wir von Beamtinnen mit Hunden ... Essen
gab es sowieso nur zweimal. Früh um vier bekamen wir ein Stück Brot und
Kaffee, abends bekamen wir einen warmen Essenschlag." Die überlebenden
Frauen berichten, dass sie wegen des ständigen Hungers heimlich die Samen
des Hanfs aßen. Das war streng verboten; wer erwischt wurde streng
verprügelt. Manchmal steckten ihnen die Arbeiter Essbares zu: ein Stück
Brot, einen Apfel, eine Kartoffel ... Das Lager war durch ein Metallgitter
mit Stacheldraht eingezäunt. Auf den Wachtürmen standen grün Uniformierte.
Die Aufseherinnen und Aufseher waren
schwarz uniformiert mit Hakenkreuzbinden, wahrscheinlich SS -
Strafvollzugsbeamte. Die dienstverpflichten Fehrbellinerinnen trugen
schwarze Umhänge. Die Gestapo stellte die Leitung. Die Häftlinge hungerten,
waren nur notdürftig bekleidet - manche hatten nicht einmal Holzschule,
mussten also barfuß laufen und wurden ständig bedroht und mit Peitschen,
Rohrstöcken und Knüppeln geschlagen.
Helene Freudenberg berichtete über
Quälereien von "Oberschieber" Lene, Vorarbeiterin und Aufseherin,
die zwei Französinnen zu Invaliden schlug. Eine rothaarige Aufseherin,
"Fuchs" genannt, erschlug die 18 Jährige Russin Natascha und eine
kleine zarte Französin.
Die Ausbeutung der Häftlinge war
Sklavenarbeit, und die stand als brutales Verbrechen gegen die
Menschlichkeit im Zentrum der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse.
Feilschen um höhere Profite
Rhinow war also der Vorläufer von
Fehrbellin. Man muss wohl davon ausgehen, dass hier die gleichen Zustände
herrschten. Aber nichts erinnerte bisher an dieses Kapitel faschistischer
Unterdrückung, Drangsalierung und Ausbeutung - Hand in Hand mit den
Unternehmen. Die Bastfaser GmbH (und nicht nur sie) machte mit Hilfe des
Repressionsapparates der Nazis ihren Schnitt, den Extraprofit. Im deutschen
Machtbereich existierten bis Kriegsende rund 200 AEL mit etwa 40.000
Haftplätzen.
Die Bastfaser GmbH (350 Häftlinge)
zahlte einen Beitrag von 0,45 Reichsmark pro Stunde und Häftling inklusive
Versicherungszuschlag an die Gestapo. Tatsächlich jedoch zahlte der Betrieb
eine Pauschale von 40.000 Reichsmark, das sind im Schnitt nur etwa 3,25
Reichsmark am Tag pro Häftling (also weniger als der vereinbarte Satz von
0,45 Reichsmark, der festgeschriebene Mindestlohn für weibliche, ungelernte
Tätigkeit). Bei 12 Arbeitsstunden täglich wäre es ein Tagessatz von 5,40
Reichsmark gewesen.
Aber das war dem Unternehmen immer noch
zu viel. Verwaltungschef Busch und Lagerführer Neuesser verhandelten und
wollten die Gestapo dazu bringen 0,25 Reichsmark / Stunde oder 2,50
Reichsmark / Tag inklusive aller Versicherungsgebühren zu akzeptieren.
Selbst diese Regelung sei nur tragbar, "wenn Sie Maßnahmen treffen
würden, wenn irgend möglich die Kräfte weniger häufig zu wechseln. An
anderen Stellen, an denen mit Häftlingen ein guter Arbeitseffekt erreicht
wird, erfolgt der Wechsel im allgemeinen erst nach etwa 6 Monaten oder
längerer Zeit." (Schreiben Bastfaser an Gestapo, 3.2.1944). Aber die Stapo - Leitstelle verlangte weiter 40.000 Reichsmark
im Monat.
Antworten auf offene Fragen
Wie hoch war der Profit der Bastfaser
GmbH Fehrbellin und Rhinow von 1942 bis 1945? Wurde die
Betriebs-"Führung" für die Sklavenausbeutung zur Verantwortung
gezogen? Die Aufseherinnen und Aufseher wurden von der Sowjetischen
Militärpolizei verhaftet. Anna S., ehemalige Hanfarbeiterin in Fehrbellin,
sagte: "Die Aufseherinnen von einst seien alle nach ein paar Jahren
Gefangenschaft zurückgekehrt - bis auf eine, das war die Gehässigste".
Wer kann, wer will sich in Rhinow noch
an die Monate im Frühjahr 1942 erinnern, als 350 Häftlinge des AEL in des
Bastfaser schufteten? Wo war das Lager? Wo wohnten die Aufseherinnen? Wer
hatte Mitleid, wer half? Erinnerung wäre heut nötig.
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